»To be a mensch!« IGOR LEVIT – LIFE
Veröffentlichung am 5. Oktober 2018
Produkt-Nr.: 88985424452 – 2CDs
Endlich ein neues Igor-Levit-Album – wie kaum anders zu erwarten wieder im XXL-Format. Der in Berlin lebende 31-Jährige liebt die großen und komplexen, auch physisch fordernden Aufgaben. Nicht umsonst pflegt er sich als „Maximalisten“ zu bezeichnen. Seine ersten drei Sony-Produktionen, alle hoch gelobt, nahmen an einigen der größten Werkgruppen des kanonischen Repertoires Maß: an Beethovens späten Klaviersonaten, an Bachs sechs Partiten und den drei imposantesten Variationswerken für Klavier der Musikgeschichte.
Nun folgt erstmals eine ganz persönliche, bewusst assoziativ komponierte Werkauswahl, aufgenommen im Frühjahr 2018 in der für ihre Akustik berühmten Berliner Jesus-Christus-Kirche auf einem exzellent intonierten neuen Steinway. Levit legt ein imaginäres Konzertprogramm vor, das vom ganz Intimen (Schumanns „Geistervariationen“ bzw. Bill Evans‘ „Peace piece“) bis zum Erhabenen und Monumentalen (Liszt-Busonis „Ad nos“) eine enorme emotionale Spannweite umfasst. Mehr denn je wird die Individualität und unersättliche Neugier des jungen Künstlers erkennbar. Der leidenschaftliche Intellektuelle präsentiert sich als ebenso abenteuerlustiger wie leidenschaftlicher Reiseführer durch musikalische Regionen, in denen sich die großen Fragen der menschlichen Existenz stellen – Fragen nach Sinn und Dauer, nach innerem Frieden, Gedächtnis und Erlösung. Drei Jahre sind vergangen, seit der diskographische Hattrick mit den drei Variationszyklen von Bach, Beethoven und Rzewski auf CD erschien; prämiert wurde er unter anderem als „Gramophone Recording of the Year“. Inzwischen ist viel geschehen. Auf den internationalen Konzertpodien gehört Levit zu den aktivsten Solisten unserer Tage. So war er in der Saison 2017/18 mit Kirill Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester in Asien auf Tournee. Eine weitere Serie von Konzerten unternahm er zusammen mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Levit spielt regelmäßig Kammermusik, im Mittelpunkt seines Schaffens stehen aber nach wie vor die Solorezitale.
Kaum ein junger Pianist überzeugt in einem derart anspruchsvollen und breitgefächerten Repertoire, wobei er sich neben den kanonischen Meisterwerken wie dem kompletten Zyklus der 32 Beethoven-Sonaten immer wieder auch Stücke vornimmt, „die die meisten seiner Kollegen nie öffentlich aufführen würden“, wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich anerkennend in einem Portrait feststellte.
Ohnehin ist der politisch und gesellschaftlich meinungsstarke Musiker in den Medien überaus präsent. Innerhalb weniger Jahre ist er in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Interpreten herangereift, der nicht nur mit dem gefeierten Niveau seiner musikalischen Darbietungen überzeugt, sondern aufgrund seiner explizit humanistischen Haltung auch als Persönlichkeit eine Instanz bildet.
2018 wurde er in den USA mit dem hoch dotierten, nur alle vier Jahre verliehenen Gilmore Award ausgezeichnet. „Igor Levit ist nicht nur ein großartiger Pianist, sondern auch ein sehr nachdenklicher Künstler mit weitreichenden Einsichten, und er hat einen tiefen Eindruck bei uns allen hinterlassen, die wir seine Auftritte in den letzten drei Jahren verfolgt haben“, begründete die Jury die Wahl des 1987 im russischen Nischni Nowgorod, dem damaligen Gorki, geborenen deutschen Pianisten. Nach Ansicht der New York Times erhielt Levit die Auszeichnung für „seine starke Mischung aus kraftvoller Kunst und politischer Offenheit.“
Mit Politik hat die neue CD-Veröffentlichung nichts zu tun. Sie wendet sich nach innen: In Life teilt Levit einige seiner persönlichen Reflexionen der vergangenen Jahre mit seinem Publikum. Ausgelöst durch den tragischen Unfalltod eines engen Freundes denkt Levit klavierspielend eine Verlusterfahrung zwischen Trauer, Verzweiflung, Resignation und Trost nach. Er widmet sich Werken, deren düstere Grandeur und melancholische Schönheit ihn seit Jahren beschäftigen. Jedes von ihnen ist eine Huldigung an die virtuosen Möglichkeiten des Klaviers. Poetische Momente stiller Einkehr treffen dabei auf dem Leben zugewandte, überaus sinnliche Musik von unmittelbar körperlicher Faszinationskraft. Levits betont subjektive Werkauswahl reicht von 1720 bis 2012, von Bach bis Frederic Rzewski. Im Zentrum steht Ferruccio Busoni: mit seinen wunderbaren Bach-Transkriptionen, mit seiner halsbrecherisch schweren Klavierversion des Orgelwerks „Ad nos ad salutarem undam“ von Franz Liszt sowie seiner eigenen „Berceuse“.
Busoni, der aus Italien stammende Kosmopolit mit deutschen Wurzeln, bedeutender Pianist, musikalisches Universalgenie und utopisch beflügelter Streiter für eine wahrhaft „freie“ Musik, er ist eines der großen Vorbilder des Musikers Igor Levit. Der Titel des Albums ist einem Klavierstück des Amerikaners Frederic Rzewski entlehnt, das dieser vor wenigen Jahren zum Gedenken an einen befreundeten New Yorker Performance-Künstler geschrieben hatte; es erscheint hier in Ersteinspielung.
Behutsam und mit größter innerer Ruhe überschreitet Igor Levits neues Album die Grenzen zwischen den Epochen, Stilen und Genres und bietet dabei Entdeckungen in Hülle und Fülle. Es leistet Trauerarbeit – in Form einer Hymne an das Leben.